01/11/2015

"Ich bin wie ein Getriebener" - Musiker Jean Michel Jarre

22.10.2015
"Elektronische Musik zu machen ist oft eine ziemlich einsame Sache: Du bist allein in deinem Studio, ein wenig wie der Maler in seinem Atelier", sagt Jean Michel Jarre. (picture alliance / dpa / Luca Piergiovanni) 

Jean Michel Jarre zählt zu den Pionieren der elektronischen Musik. Mit seinem Debut "Oxygene" landete er vor fast 40 Jahren einen Riesenhit. Für sein neues Album "Electronica" bat Jarre 30 internationale Electro-Stars um Mithilfe. Zusammen habe man Geheimnisse gelüftet und wunde Punkte gefunden, erzählte er im Corsogespräch.

Jean Michel Jarre im Gespräch mit Thomas Elbern

Thomas Elbern: Elektronische Musik heutzutage wird meist alleine vor dem Computer erzeugt. Für ihr neues Album sind sie einen anderen Weg gegangen und haben ihre musikalischen Partner wie Moby, Hans Zimmer, Pete Townshend und Vince Clarke in ihren Studios besucht und zusammen mit ihnen gearbeitet.
Kamen bei dieser persönlichen Herangehensweise unterschiedliche Resultate heraus?

Jean Michel Jarre: Die Herangehensweise ist vergleichbar damit, wie wir beide gerade miteinander reden. Wir sitzen uns gegenüber und können uns in die Augen schauen. Würden wir telefonieren, wäre das schon wieder etwas anders.....es würde alles verändern. Und wenn man gemeinsam in einem Raum in einem kreativen Prozess ist, ist das auch wieder etwas anderes. Gemeinsam in einem Raum zu arbeiten, macht einen großen Unterschied; anstatt sich Soundfiles hin und her zu schicken. Und das hat nichts mit Technologie zu tun, sondern ist völlig zeitlos.
Vor dem Internet gab es das Telefon, davor gab es die Postkarte ......es hat sich aber nichts daran geändert, dass, wenn man gemeinsam zusammen sitzt und den kreativen Prozess gemeinsam erlebt, dass dabei auch andere Dinge herauskommen.
Elektronische Musik zu machen ist oft eh eine ziemlich einsame Sache: Du bist allein in deinem Studio, ein wenig wie der Maler in seinem Atelier.
Die Geheimnisse, die wunden Punkte, die ganz eigene Herangehensweise an den Klang....das erfährt man nur dann, wenn man zusammen mit anderen arbeitet. Ich bin unglaublich dankbar, dass so ganz unterschiedliche Musiker wie Massive Attack, Air, Moby, Gary Newman, Vince Clarke, Tangerine dream und Boysnoize mitgewirkt haben.
Sie alle willigten in dieses Experiment, das meine aktuelle CD ist, diesen sehr persönlichen Moment mit mir zu teilen und zu schaffen. Und natürlich sind die Resultate sehr unterschiedlich ausgefallen.

Elbern: Oft werden sie als Pionier der elektronischen Musik bezeichnet. Als ihr Erfolgsalbum "Oxygene" Mitte der Siebziger erschien, gab es allerdings schon Gruppen wie Kraftwerk, Klaus Schulze, Tangerine Dream oder Wendy Carlos. Sie haben einmal in einem Interview gesagt, dass sie komplettes Neuland mit ihrer Musik betraten...meinten Sie damit in Frankreich oder weltweit ?
Jarre: Sie haben recht, als ich in den späten 60er Jahren anfing, gab es schon Gruppen wie Tangerine Dream. Wir haben mehr oder weniger zur gleichen Zeit angefangen. Als ich Edgar Froese von Tangerine Dream zu den Aufnahmen von "Electronica" traf, sprachen wir genau darüber. Ich habe eigentlich sogar noch früher als Tangerine Dream mit der reinen Elektronik begonnen, bevor die sich von einer Rockband in genau diese Richtung entwickelten. Als ich in den späten 60ern anfing, hatte ich keinerlei Kontakt zu Musikern, die Vergleichbares gemacht haben.
1974, als ich schon einige Jahre dabei war, hörte ich zum ersten Mal "Autobahn" von Kraftwerk. Ich dachte, das ist eine kalifornische Band, die auf Deutsch singt. Ich fand das so cool, dass vermeintlich Amerikaner auf Deutsch singen und so klingen wie eine Techno Version der Beach Boys. Ich sag das deswegen, um zu zeigen, wie das damals war: vor Erfindung des Internets, wo wir alle wie die Ratten oder verrückte Aliens in unseren Kellern gehaust haben, alle extrem beschäftigt und nicht wirklich miteinander verbunden waren.

Elbern: Ihr Oxygene Album entstand in einer Art Vorgänger des heutigen Homestudios. Wie war das damals, als es keine Computer, kein Internet und auch kein Budget gab, um in einem großen Studio aufzunehmen?

Jarre: Bevor ich Anfang der 70er an Oxygene arbeitete, war ich in der experimentellen elektronischen Musik zuhause. Doch ich wollte eine Brücke bauen zwischen der experimentellen Musik und der Popmusik. Ich hatte vorher auch schon in Rockbands gespielt und festgestellt, dass Melodien das wichtigste Element in der Musik sind. In der frühen elektronischen Musik war alles viel abstrakter, intellektueller und dogmatischer als in der Popmusik.
Für das Album "Oxygene" hatte ich damals genau zwei Syntheziser zur Verfügung. Denn ich hatte einen begrenzten finanziellen und auch technischen Rahmen zur Verfügung, außerdem gab es noch nicht so viele Synthesizer damals. Im Gegensatz zu heute waren die großen Studios das Maß aller Dinge. Da saßest Du auf der einen Seite im Aufnahmeraum und hinter der Glasscheibe saß der Toningineur und der konnte Gott spielen.
Ein Studio zuhause wurde nicht ernst genommen. Heute ist es genau umgekehrt. Heute Musik zu produzieren, das ist eine Art Heimstudiosituation, während die großen Studios jetzt nur noch gebraucht werden, um beispielsweise ein Symphonieorchester oder zwei Musiker gleichzeitig aufzunehmen.

Künstler gehen anders mit Zeit um


Elbern: Elektronische Musik live auf die Bühne zu bringen, keine leichte Aufgabe in Zeiten, wo es keine tragbaren Computer gab. Visuelle Effekte, die Laserharfe, Feuerwerk, eine riesige Leinwand mit Projektionen, das hat ihre Konzerte immer ausgemacht. Welche Idee steckte hinter ihrer Liveshow? War das, ähnlich wie Pink Floyd damals, die Idee eines umfassenden Spektakels?

Jarre: Kann man so sagen! Damals gab es nicht viel Musiker, die das so gemacht haben. Wenn Sie heute diese riesigen Festivals mit elektronischer Musik sehen, dann sieht das ein wenig wie das aus, was ich schon vor 30 Jahren gemacht habe. Rockbands wie die Rolling Stones oder U2 haben am Anfang mit einer einfachen Lightshow gespielt und das war's. Und auf einmal hatten die auch alle diese optisch aufwendigen Produktionen. Damit fingen Pink Floyd und ich schon wesentlich früher an.
Ich kann mich noch an ein Fernsehinterview mit Pink Floyd erinnern, bevor sie eine große Pause einlegten. Schlagzeuger Nick Mason witzelte, wir hören erst mal auf, jetzt lassen wir Jean Michel Jarre den Vortritt.

Elbern: Sie waren der erste europäische Popmusiker, oder vielleicht der erste weltweit, der 1981 in China elektronische Musik live aufgeführt hat. Wie war das eigentlich damals?

Jarre: Um eine lange Geschichte abzukürzen, in China aufzutreten war damals, wie auf dem Mond zu spielen. Das galt für mich, aber auch für die chinesischen Zuschauer. Stellen Sie sich ein Land vor, in dem die Menschen 25 Jahre von westlicher Kultur abgeschnitten waren. Die Zuschauer kannten keine Beatles, kein Elvis Presley oder Charlie Chaplin. Die ganze Popkultur war an ihnen vorbei gegangen.
Die Art von Show, die ich damals konzipiert hatte, war schon in London, Berlin, Paris oder New York neu, also hatte man dergleichen in China erst recht noch nie gesehen. Das war wie ein fantastischer Schock und für mich eines der außergewöhnlichsten Konzerte, das ich je gespielt habe. Es war, wie auf einem anderen Planeten...

Elbern: Für mich waren Sie immer so etwas wie der Beau der elektronischen Musik, ähnlich wie Bryan Ferry für den Pop.Sie sind nun 67.Wie kommen sie eigentlich mit dem Älterwerden und all den Nebeneffekten klar?

Jarre: Erst mal ist mir das eine großer Ehre, dass Sie mich mit Bryan Ferry vergleichen. Ich mochte immer dieses Dandyimage von ihm, das er in die Rock und Popmusik eingeführt hat.
Ich glaube, dass Künstler eine andere Beziehung zu Zeit haben. Mein aktuelles Album hat den Untertitel "Zeitmaschine". Ich meine damit nicht die Vergangenheit oder die Zukunft, sondern eher den Umgang mit Zeit.
Künstler gehen anders mit Zeit um, sie merken erst gar nicht, das sie vergeht. Meine Arbeit hat viel mit Sucht zu tun, nichts beschäftigt mich mehr. Ich mache keine Musik um mich selbst zu unterhalten, sondern weil ich nichts anderes kann. Ich bin da wie ein Getriebener.
Es ist eine Mixtur aus Frustration und Hoffnung. Die Frustration darüber, schon wieder nicht das erreicht zu haben, was ich wollte und die Hoffnung, dass das beim nächsten Mal weniger schlimm wird und mir weniger Schmerzen bereiten wird. Die Hoffnung, eines Tages das ideale Album zu realisieren., das mir schon immer durch den Kopf ging. Das ist mein Motor, mein Lebenselixier...eines Tages dieses Album zu machen. Das wird wahrscheinlich nie passieren.


http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2015/10/22/dlf_20151022_1539_6eb8544b.mp3

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